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Mann sitzt am Computer am Tisch im Büro

eIDAS in der Verwaltung: zu Besuch in Wiesbaden

Veröffentlicht am 03.02.2022

Mit ihrer eIDAS-Verordnung hat die Europäische Union die Tür für vollständig digitale Prozesse geöffnet. Auch in der Verwaltung. Für Jan Klumb vom Team OnlineRathaus der Stadt Wiesbaden könnten die Regelungen rund um Vertrauensdienste hierzulande gern noch viel weiter reichen.
 

Die Suche nach mehr Digitalisierung führt nach Brüssel

Neue Vorgaben, die eingespielte Prozesse verändern: Das klingt eher nach einem Szenario, das bei Behörden Beklemmung auslöst. Klumb aber sucht seit Jahren nach genau diesen Vorgaben. Er ist Sachgebietsleiter im Standesamt und im Bürgerbüro der Stadt Wiesbaden. Die Sehnsucht nach neuen Arbeitsabläufen entspringt wohl vor allem seiner Rolle als Leiter des Teams OnlineRathaus. „Wirklich akut wurde unser Digitalisierungsdrang wahrscheinlich 2012, etwa in der Zeit, in der die Stadt Wiesbaden – als eine der ersten Kommunen deutschlandweit – ihr Bürgerservice-Portal einführte“, erklärt Klumb. Gezielt fahndeten damals die Kollegen des Amtes nach Gesetzen, die der Behörde helfen würden, Leistungen rein digital abzuwickeln.

„Viele Möglichkeiten blieben uns nicht“, so Klumb. Das Onlinezugangsgesetz war noch in weiter Ferne. Derweil schuf das E-Government-Gesetz im Jahr 2013 zwar einen Rahmen für elektronische Prozesse, Eingang in die Verwaltungsvorschriften der Bundesländer fand es allerdings erst später. Die hessische Variante trat im September 2018 in Kraft. Die große Veränderung stammte daher am Ende weder aus Berlin noch aus Wiesbaden, sondern aus Brüssel. 2014 präsentierte die EU ein Rezept für die Digitalisierung von Geschäfts- und Verwaltungsprozessen: eine Verordnung für „electronic IDentification, Authentication and trust Services“ – kurz eIDAS-Verordnung. Klumb und sein Team interessierten sich insbesondere für die dort definierten Vertrauensdienste.

„Wir experimentieren viel, haben Urkunden qualifiziert digital unterschrieben und wollen jetzt teilweise das qualifizierte Siegel einsetzen, das unsere Identität als Organisation bestätigt“

Jan Klumb, Standesbeamter, Sachgebietsleiter & Leiter Team OnlineRathaus der Stadt Wiesbaden

eIDAS-Vertrauensdienste für die Liebe

Der wichtigste Trusted Service war und ist die qualifizierte elektronische Signatur (QES). „Genau genommen nutzen wir die QES bereits seit 2010, um Personenstandseinträge digital zu signieren und sie dann ins elektronische Personenstandsregister zu überführen“, erklärt Klumb. So weit, so pragmatisch. QES eben. Die Zeit der großen Emotionen sollte erst noch kommen – im Jahr 2020. Seitdem können Menschen dank der QES ihre Eheschließung in Wiesbaden online anmelden. „Einige Standesämter hatten ihr Angebot an Terminen zur Anmeldung der Eheschließung stark eingeschränkt“, erinnert sich Klumb. „Unser Leitspruch war aber: Die Liebe muss auch in der Pandemie ihren Platz finden – erst recht, weil es einen gesetzlichen Anspruch auf die Eheschließung gibt. Jetzt können sich Menschen per VideoIdent in einem Pilotprojekt identifizieren, erzeugen so eine QES nach eIDAS, mit der sie dann die Anmeldung zur Eheschließung digital unterschreiben.“

Über 1.800 Anmeldungen zur Eheschließung wurden bis Ende 2021 auf diese Weise offiziell. Und nicht zuletzt die 90 Prozent grüne Smileys im Feedback-System bestärken das Standesamt darin, die Servicepalette auszubauen. „Wir experimentieren viel, haben Urkunden qualifiziert digital unterschrieben und wollen jetzt teilweise das qualifizierte Siegel einsetzen, das unsere Identität als Organisation bestätigt“, sagt Klumb. Gerade probiert sich sein Team an einer digitalen Geburtsurkunde mit QES und qualifiziertem Siegel aus. „Wenn Menschen die Geburtsurkunde nutzen, dann eigentlich nur, um sie zu einer anderen Behörden zu tragen – das kostet Zeit und oft auch Nerven beim Suchen“, so Klumb. „Idealerweise hat sich irgendwann das Once Only-Prinzip durchgesetzt, sodass nur noch die Daten laufen, nicht die Bürger. Doch bis dahin braucht es ja vielleicht eine Zwischenlösung, denn zum heutigen Zeitpunkt sind rund 80 Prozent der Daten auf dem Medium Papier vorhanden und müssen erst durch die Standesbeamten digitalisiert und wiederum digital signiert ins elektronische Personenstandsregister transferiert werden.“

Warum die eIDAS-Verordnung in die Fachgesetze muss

Fürs Erste wird es bei der digitalen Geburtsurkunde nicht über Experimente hinausgehen. Denn es gibt schlichtweg kein Fachgesetz, das ein solches Dokument erlaubt – was das generelle Problem der eIDAS-Verordnung in Deutschland offenlegt. Jan Klumb hat dafür ein ganz eigenes Narrativ entwickelt: „Wäre dieses Land ein Mensch, dann würde auf einer Schulter das Engelchen eIDAS-Verordnung sitzen, das ihn bei der Digitalisierung voranbringt. Auf der anderen Schulter hätte es sich das Teufelchen bequem gemacht – das Fachgesetz, das bremst.“ Klumb sieht nur einen Weg, das Teufelchen in die Schranken zu weisen: „Deutschland muss seine Fachgesetze anpassen, sie auf eIDAS Bezug nehmen lassen.“

Die PSD2 – Musterbeispiel für die eIDAS-Integration

Damit stößt Jan Klumb bei Christian Seegebarth auf viel Gegenliebe. Seegebarth ist eIDAS-Experte der D-Trust GmbH, eines Unternehmens der Bundesdruckerei-Gruppe. Und er ist Mitautor einer Studie zu den Herausforderungen bei der Umsetzung der Verordnung in Deutschland. Sein Wunsch: Gesetze, vor allem die neuen unter ihnen, sollen auf ihre Anwendbarkeit im digitalen Raum überprüft werden. Digitaltauglichkeit nennt das der Nationale Normenkontrollrat in seinem „Monitor Digitale Verwaltung #6“. „Wann immer Authentisierung und Identifizierung eine Rolle spielen, müsste es im Gesetz sinngemäß heißen: ‚Für diese Zwecke sind eIDAS-Vertrauensdienste einzubinden‘“, betont Seegebarth. 

Dabei ist ihm besonders wichtig, Signaturen, Siegel und Website-Zertifikate als Tools zu begreifen, die neue Chancen statt Restriktion schaffen. Wie bei der Payment Services Directive 2 (PSD2) der Europäischen Union – sozusagen das Musterbeispiel für die Integration von eIDAS-Vertrauensdiensten in ein Fachgesetz. 

Die PSD2 von 2019 gilt als wichtiger Schritt in Richtung Open Banking. Banken müssen Zahlungsdiensteanbietern Zugang zu ihren Kundenkonten gewähren. Möglich ist der Zugriff aber nur, wenn die Unternehmen sich mit einem qualifizierten Website-Zertifikat (QWAC) oder einem qualifizierten elektronischen Siegel (QSiegel) identifizieren können. Und auch die Banken können sich mit einem solchen Vertrauensdienst ausweisen. „Plötzlich kommunizieren hier zwei Unternehmen miteinander, die bis dahin keinerlei Geschäftsbeziehungen unterhalten haben“, so Seegebarth. „Das bedeutet einiges an Potenzial für neue Geschäftsmodelle.“

Nummernschilder für den digitalen Raum

Durch die Verwendung von eIDAS-Vertrauensdiensten bleibt die Transaktion hochsicher. Seegebarth vergleicht QWACs und QSiegel mit einem Nummernschild. Schließlich ergebe sich das Vertrauen zwischen Verkehrsteilnehmern ebenso allem voran aus der Tatsache, dass ihre Identität im Ernstfall schnell nachverfolgbar ist.

Doch wie kommen die eIDAS-Dienste nun in die Fachgesetze? Die Europäische Kommission bietet mit ihrer Better Regulation Toolbox eine Hilfestellung. Das Projekt „Bessere Rechtsetzung“ des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) weist ebenfalls in die richtige Richtung. Seegebarth könnte sich vorstellen, es um eine Folgenabschätzung von Gesetzen für die digitale Transformation zu ergänzen. Zudem setzt er auf die Technikaffinität derer, die an den Regularien schreiben. 

Und wirklich weit ist der Weg gar nicht, wie Klumb bei der digitalen Eheschließung merkte: „Im Personenstandsgesetz steht, dass man bei einem wichtigen Grund auf das Schriftformerfordernis zurückgreifen könnte, das die qualifizierte elektronische Signatur ja erfüllt.“ Es bedarf also nicht vieler Worte, um eIDAS und die Digitalisierung der Verwaltung voranzubringen, nur wichtiger Gründe. Der wichtige Grund ist derzeit nur formal durch die Corona-Pandemie gegeben, das OZG oder die eIDAS sind leider keine wichtigen Gründe. Erst wenn die angekündigte und dringend benötigte Änderung im Fachgesetz umgesetzt ist, wird eine uneingeschränkte Anwendbarkeit des Verfahrens auch nach der Corona-Pandemie möglich sein Kurzum: Die Zeit für neue Vorgaben ist reif.

„Wann immer Authentisierung und Identifizierung eine Rolle spielen, muss es im Gesetz sinngemäß heißen: ‚Für diese Zwecke sind eIDAS-Vertrauensdienste einzubinden‘.“

Christian Seegebarth
Christian Seegebarth, Senior Expert Trusted Solutions der D-Trust GmbH
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