
Auf Vertrauen gebaut: Interview zur EUDI-Wallet
Dr. Claudia Thamm und Dr. Tobias Meyer erläutern die Herausforderungen
Veröffentlicht am 17.6.2025
In Deutschland gibt es bereits eine Vielzahl an Identifikationssystemen für Behörden und Unternehmen. Warum brauchen wir überhaupt eine European Digital Identity Wallet?
DR. CLAUDIA THAMM: Der größte Unterschied zu bisherigen Lösungen ist, dass die EUDI-Wallet ein gemeinsames System schafft, das die Online-Identifizierung und digitale Nachweise europaweit nutzbar macht. Darin steckt viel Potential für die Verwaltung, für die Wirtschaft, für die Bürgerinnen und Bürger. Zudem kann ich mit der EUDI-Wallet Dokumente sicher digital unterschreiben – jede Bürgerin, jeder Bürger hat künftig die Lösung in der eigenen Wallet und kann sie kostenfrei nutzen.
DR. TOBIAS MEYER: Und es ist ein standardisiertes und verpflichtendes System. Wir hatten bisher ein Henne-Ei-Problem bei digitalen Identitäten: Es gab verschiedene staatliche sowie privatwirtschaftliche Lösungen mit jeweils recht geringer Verbreitung – und zugleich zu wenige Nutzungsmöglichkeiten. In Konsequenz blieb der Durchbruch aus. Jetzt müssen alle Mitgliedstaaten ihren Bürgerinnen und Bürgern eine EUDI-Wallet auf Basis einheitlicher Standards bereitstellen. Die großen privatwirtschaftlichen Anbieter, wie Finanzdienstleister und Telekommunikationsunternehmen, sind zudem verpflichtet, die EUDI-Wallet in ihre Systeme einzubinden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Es braucht alltagsrelevante Anwendungen, damit möglichst viele Menschen die EUDI-Wallet regelmäßig nutzen – die wenigen „digitalen Behördengänge“ pro Jahr reichen dafür allein nicht aus.
Was haben Unternehmen denn davon, wenn sie privatwirtschaftliche Anwendungen für die EUDI-Wallet schaffen?
DR. TOBIAS MEYER: Heute ist es in Europa für Unternehmen kompliziert, digitale Lösungen zu entwickeln, die tatsächlich für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger nutzbar sind. Mit der EUDI-Wallet müssen sie nur noch ein technisches Protokoll, einen Standard implementieren und haben den gesamten Binnenmarkt erschlossen. Ziel ist es, die vielen Einzellösungen zu vereinheitlichen, die es in verschiedenen Ländern und in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren gibt, beispielsweise im Gesundheitswesen, im Finanzbereich, in
der Telekommunikationsbranche. Daraus werden Kostenvorteile entstehen – gleiches gilt im Übrigen für die öffentliche Verwaltung.
Inwiefern?
DR. TOBIAS MEYER: In Deutschland gibt es derzeit verschiedene Parallel-Lösungen, um sich digital auszuweisen oder um einzelne digitale Nachweise umzusetzen. Dadurch ist ein Flickenteppich entstanden: Der Bund baut verschiedene Lösungen für ähnliche Anwendungsfälle, die Länder bauen Lösungen, die Kommunen ebenfalls – das kostet Zeit und Geld und verringert die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern. Mit der EUDI-Wallet wird eine Plattform geschaffen, auf der unterschiedliche digitale Nachweise von Bund, Ländern und Kommunen in einer App gebündelt sind. Wenn es bald eine einheitliche Lösung gibt, stellt sich automatisch die Frage nach dem Datenschutz …
DR. CLAUDIA THAMM: In der Tat, das ist ein komplexes Thema: Wer garantiert, dass die Daten sicher sind? Sorgt der Staat für hohe Standards? Wie bleibt die Lösung trotz Datenschutz und Sicherheitsvorgaben nutzerfreundlich? Die Frage, welche Daten bei der Nutzung anfallen, ist gleichermaßen wichtig. Kann derjenige, der die Wallet bereitstellt – ob nun Staat oder Privatunternehmen –, mitlesen bei welchen Diensten ich mich identifiziere oder welche sensiblen Informationen in meinen digitalen Nachweisen enthalten sind? Das sind wichtige Fragen, auf die es verbindliche Antworten braucht, um das notwendige Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern zu schaffen
Was sind weitere Herausforderungen auf dem Weg zur fertigen Wallet?
DR. CLAUDIA THAMM: Die eIDAS 2.0-Verordnung verpflichtet alle EU-Mitgliedstaaten, bis Ende 2026 eine digitale Brieftasche einzuführen. Das ist nicht viel Zeit, um in Deutschland eine Lösung einzuführen, die in der gesamten Verwaltung über Bund, Länder und Kommunen sowie in der Privatwirtschaft einsatzbereit ist. Die zweite große Herausforderung ist die „Governance“ zu definieren und die Rollen und Verantwortlichkeiten im Ökosystem festzulegen: Wer kümmert sich um was? Wie arbeiten Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen? Wer finanziert welche Teile? Wer haftet für was? Auch wenn derzeit viel über technische Standards diskutiert wird, reicht es nicht aus, eine technische Lösung zu entwickeln und diese dann zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müssen organisatorische, rechtliche und finanzielle Fragen geklärt werden.
Ungeklärt ist auch noch, wer Herausgeber einer Wallet sein kann.
DR. CLAUDIA THAMM: Das stimmt. Wir sind überzeugt, dass ein staatsnaher Herausgeber der Wallet bei Bürgerinnen und Bürgern für hohes Vertrauen sorgt. Ich vergleiche das mal mit den physischen Dokumenten. Wenn wir als Bundesrepublik sagen würden, der deutsche Personalausweis wird ab jetzt von drei verschiedenen Unternehmen irgendwo in Europa produziert, hätten viele vermutlich ein Störgefühl. Das kann man auch übertragen auf die digitale Welt: Man will seine hoheitlichen Dokumente, seine eigene digitale Identität, eher nicht irgendeinem Unternehmen anvertrauen.
DR. TOBIAS MEYER Zumal es die Frage der staatlichen Souveränität tangiert. Private Anbieter können von anderen Unternehmen übernommen werden. Was passiert, wenn staatliche Nachweise in einer privaten Wallet liegen und die Firma ins Ausland verkauft wird? Das sind Fragen, über die man nachdenken muss. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu beobachten, dass Länder, die in der Vergangenheit eher privatwirtschaftlich organisierte Lösungen vorangetrieben haben, jetzt die eIDAS-Novellierung als Aufhänger nehmen, um wieder mehr staatliche Souveränität im digitalen Raum zu gewährleisten. Gleichzeitig ist klar: Der Staat allein wird das Ökosystem nicht erfolgreich etablieren können, es braucht den engen Schulterschluss mit der Privatwirtschaft sowie der Zivilgesellschaft.
Bis Mitte 2025 treiben verschiedene Akteure – darunter auch die Bundesdruckerei-Gruppe – die Ausgestaltung der digitalen Brieftasche in verschiedenen Pilotprojekten voran. Wie sähe aus Ihrer Sicht das Zielbild der deutschen EUDI-Wallet aus?
DR. TOBIAS MEYER Es wäre aus unserer Sicht gut, wenn der Bund die Rahmenbedingungen vorgeben und eine staatliche Wallet als Basisangebot bereitstellen würde. Auf dieser Grundlage kann es durchaus weitere Wallets von privaten Anbietern geben, die beispielsweise für spezifische Anwendungsfälle oder Berufsgruppen Mehrwerte bringen können.
Welche Rolle kann die Bundesdruckerei-Gruppe bei der Ausgestaltung der Wallet-Infrastruktur und auch später im Praxiseinsatz spielen?
DR. CLAUDIA THAMM Wir sind von Anfang an sehr intensiv an der Konzeption und Umsetzung der Wallet-Infrastruktur beteiligt und möchten weiterhin entscheidend zum erfolgreichen Aufbau des Ökosystems digitaler Identitäten beitragen – genauso wie wir schon jetzt als 100-prozentige Tochter des Bundes das Unternehmen sind, das die hoheitlichen Dokumente herausgibt. Wir sind das Technologieunternehmen des Bundes, das von der Konzeption über die Entwicklung und den Betrieb bis hin zu Service und Support alles aus einer Hand leisten kann. Sichere Identitäten sind unsere DNA.
Geht es hier auch um Vertrauen?
DR. CLAUDIA THAMM In jedem Fall. Wenn ich mich in die Rolle der Bürgerinnen und Bürger versetze, bin ich überzeugt davon, dass sie dem Unternehmen vertrauen, das sie
schon von ihren hoheitlichen Dokumenten kennen. Das ist ein Vertrauensvorschuss, den ein anderes Unternehmen nicht hat, das sie vielleicht gar nicht kennen oder das eventuell sogar einen Background außerhalb der EU hat.
Reicht Vertrauen, damit die EUDI Wallet erfolgreich wird?
DR. CLAUDIA THAMM Wir müssen die Nutzerfreundlichkeit in den Vordergrund stellen und Neugier bei den Menschen wecken. Ich glaube, dass sich viele Vorbehalte durch den praktischen Einsatz erledigen. Wir kennen das doch alle: Wenn man einmal merkt, dass etwas den Alltag erleichtert, dann lässt man sich schnell überzeugen, selbst wenn man zunächst kritisch war.