Mann und Frau Arzt mit Patient am Computer im Gespräch Praxis

Telemedizin: das Ende überfüllter Wartezimmer?

Veröffentlicht am 03.07.2019

Weite Anfahrtswege zum Arzt im ländlichen Raum und überfüllte Wartezimmer könnten bald ein Ende haben – dank Telemedizin. Aber damit Patienten künftig mit dem Arzt via Computer kommunizieren können, muss der Netzausbau – insbesondere auf dem Land – voran schreiten. Auch in Sachen Organisation, Finanzierung, IT-Sicherheit und Recht gibt es noch Hausaufgaben.

Telemedizin: das Ende überfüllter Wartezimmer?

Was genau ist eigentlich Telemedizin? Telemedizin bedeutet die medizinische Versorgung und Betreuung von Patienten mithilfe moderner Kommunikationsmittel und aktueller Informationstechnik. Arzt und Patient können bei der Konsultation räumlich oder zeitlich voneinander getrennt sein. Telemedizin ermöglicht beispielsweise, dass NASA-Astronauten in der Thermosphäre in Echtzeit von Ärzten, die sich auf der Erde befinden, betreut werden können.

Nicht immer muss der Arzt „Lichtjahre“ vom Patienten entfernt sein – Telemedizin ist auch dann schon praktisch, wenn man auf dem Land wohnt und nicht für jeden Schnupfen zum Hausarzt in die Stadt fahren will. Oder wenn man gesundheitlich derart gehandicapt ist, dass auch ein kurzer Weg zur Praxis schier unüberwindlich anmutet.

94 Prozent der Befragten wollen gerade im Falle schwerer Erkrankungen keinesfalls auf den direkten Draht zu ihrem Arzt verzichten.

Quelle: Future Health 2018, PwC

Im Jahr 2018 hat der Deutsche Ärztetag das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelockert. Ärzte können seitdem ihre Patienten ohne vorherigen persönlichen Erstkontakt ausschließlich telefonisch oder per Internet behandeln. Manche Ärzte bieten dafür Videosprechstunden an. „Videosprechstunden werden sich als eine von vielen Formen ärztlicher Patientenversorgung in Deutschland etablieren“, sagte Frank Ulrich Montgomery (Präsident der Bundesärztekammer 2011-2019) der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Blick hinter die Kulissen der Telemedizin

Was im ersten Moment simpel klingt, birgt bei genauem Hinsehen einige Herausforderungen für diverse Beteiligte. Unter anderem sind organisatorische, technische, juristische und medizinische Aspekte zu beachten.

Organisation:

Auch bei der Telekonsultation muss der Arzt die Behandlung dokumentieren. Idealerweise sollten die Abläufe ebenfalls digital und ohne Medienbruch erfolgen. So ist es sinnvoll, dass der Arzt bei einer Telekonsultation ein elektronisches Rezept ausstellt, auf das die ausgewählte Apotheke direkten Zugriff hat. Das Medikament kann sie dann zum Patienten nach Hause schicken. Noch ist das in Deutschland nicht erlaubt, aber das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) soll dies ändern. Die technischen Standards für das E-Rezept sollen von der gematik bis zum 30. Juni 2020 verbindlich festgelegt werden.

Sämtliche Arzt-Patienten-Kontakte, Diagnosen und Untersuchungen sollten dokumentiert werden, etwa in einer elektronischen Patientenakte (ePA). Laut Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) müssen Krankenkassen ihren Versicherten bis spätestens zum Jahr 2021 eine solche ePA anbieten.

Zudem müssen die Praxen sich auch organisatorisch darauf einstellen, dass einige Patienten künftig nicht mehr am Empfang stehen oder im Wartezimmer sitzen, sondern anrufen – angefangen von der Integration der Videokonsultationen in den Terminplan über die Einhaltung von Behandlungsrichtlinien bis hin zu Überweisungen und Abrechnungen.

Technik:

Telemedizin funktioniert nur mit moderner Technik. Dazu zählen in erster Linie ein PC, Headset mit Mikrofon und ein schneller Internetanschluss mit ausreichender Bandbreite. Aber auch die Anbindung an die Telematikinfrastruktur mit elektronischem Arztausweis und Kartenterminal gehört dazu. Außerdem müssen die Kommunikationspartner – ob Arzt und Patient oder Ärzte untereinander – interoperabel agieren. „Es ist für einen Arzt unzumutbar, wenn er mit x-verschiedenen Patientenakten arbeiten muss, die völlig unterschiedlich strukturiert sind“, sagt Montgomery, „Die Patientenakten müssen praxistauglich, patientenfreundlich und sicher sein.“ Personenbezogene Daten dürfen in der Regel nur anonymisiert oder pseudonymisiert ausgetauscht werden – dabei muss der Datenschutz gewährleistet werden.

Medizin:

Telemedizin ermöglicht, dass Patienten beispielsweise einen Teil ihrer Nachsorge und Rehabilitation zu Hause absolvieren können. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Aufgaben, Pflichten und Rechte der verschiedenen beteiligten Berufsgruppen – also etwa Ärzte, mobile Pflegekräfte oder Physiotherapeuten – für den Patienten transparent definiert und qualitätsgesichert wahrgenommen werden.

Wirtschaftlichkeit:

Die Telemedizin verursacht Kosten, etwa für Hard- und Software, aber auch für die Internetverbindungen, die ärztliche Dienstleistung oder das Arztpersonal. Hier ist zu klären, wer welche Kosten übernimmt und wie die Leistungen vergütet werden. So gibt es bisher bei den Kassen keine Abrechnungsposition für Diagnose und Beratung per Video bei einem Erstkontakt von Arzt und Patient. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sollen Patienten bestimmte Gesundheits-Apps fürs Handy künftig von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt bekommen – wenn ihr Arzt ihnen das verschreibt. Das können etwa Apps sein, die an die regelmäßige Einnahme von Medikamenten erinnern, digitale Tagebücher für Diabetiker oder Apps für Menschen mit Bluthochdruck.

Recht:

Damit die Ärzte künftig etwa Arzneimittel auch elektronisch verordnen können, müssen noch einige Gesetze umgeschrieben werden. Denn derzeit gilt für Ärzte beispielsweise noch ein Verbot der Zuweisung an Apotheken. Auch stehen der Verwendung des E-Rezepts noch Regelungen in den Verträgen der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen entgegen.

Telemedizin kann nur ergänzen

Sind die Herausforderungen erst einmal gelöst, kann Telemedizin zu einem „Kassenschlager“ werden. Denn sie bietet viele Vorteile: Patienten bietet sie einen nahezu unschlagbaren Zeitgewinn. Bestimmte Therapien und Behandlungen, etwa bei Diabetikern, können besser überwacht werden. Relevante Messdaten könnten mithilfe spezieller Technologien zeitnah an den Arzt übermittelt werden. Dieser könnte direkt reagieren und weitere Schritte einleiten. Einig sind sich die Experten aber auch bei einer ganz zentralen Frage: „Die Fernbehandlung ist eine zusätzliche Form der Begleitung durch den Arzt.“, sagt Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg und Architekt der Telemedizin in Deutschland. Eine zusätzliche Form bedeutet, „sie kann den Besuch in der Praxis ergänzen, ihm vorausgehen oder nachfolgen, ihn in manchen Fällen unnötig machen, nicht aber ihn ganz und gar ersetzen“, berichtet die FAZ.1

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung, „In unmittelbarer Ferne“

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